Laufen: Barfuß im Winter

Geht das etwa auch?
Ja.
Kann das gesund sein?
Schaden tuts bisher nicht.

Erfahrungen aus meinem ersten Winter weitestgehend ohne Schuhe.


Nach dem (römischen) Kalender beginnt der Winter zwar erst am 21. Dezember, für mich gelten Temperaturen um die 0°C und Schnnee als Anzeichen für den Winterbeginn unabhängig von Kalenderdaten.
Anfang November empfand ich das Laufen bei 5°C ohne Schuhe als echt fies kalt und war in Schuhe geflohen - nur um prompt wieder rauszusteigen.

Anpassung

Seitdem beobachte ich fasziniert, wie sich mein Körper und speziell meine Füße an die Temperaturen gewöhnen. Gewöhnen ist so ein langweiliges Wort. Es wird dem hier gemeinten Vorgang in keiner Weise gerecht. Da ich im Sommer den interessanten Umweg über die Patas gemacht habe, fehlt mir nun ein wenig Hornhaut und das erschwert den Weg. Aber die Hornhaut bildet sich und ebenso eine Muskel- / Polsterschicht zwischen Sohle und Knochen. Ich kann es fühlen und dabei zusehen.
Der erste Kilometer ist immernoch der heftigste. Vor allem bei Nässe und Kälte zusammen. 6°C bei Nässe fühlen sich viel kälter an als 2°C bei trockenem Boden. Ich gelange an den Punkt, an dem alle Synapsen wieder schreien und die vom Rauchen in Mitleidenschaft gezogenen Zehen trotz Laufen noch taub und kalt sind und ich mich hinsetzen und jammern will... wenn ich an diesem Punkt aber noch ein kleines Bischen durchhalte, dann wirds warm.


Dann
stehe ich bei Nässe und Kälte auf dem Feld und hab warme Füße. 

Schuhe
Daheim trage ich gar keine Schuhe mehr, zum Einkaufen u. ähnlichem die Zehenschuhe, ich will ja weder unbedingt auffallen noch diskutieren. Im Sommer kaufe ich auch barfuß ein. In meiner Werkstatt trage ich je nach Arbeit ebenfalls die Zehenschuhe, denn sie ist fast nicht zu beheizen und hat derzeit etwa 7°C. Bei bewegungsarmen Tätigkeiten ist das definitiv zu kalt für blanke Füße. Bewege ich mich, gehts auch ohne.

Asphalt im Winter
Ziemlich fies ist grober Asphalt, bei dem zur Kälte und Nässe noch Härte und Struktur hinzukommen. Es ist ein Bischen, als liefe man auf einem Bimsstein... nur fieser.
Im Sommer hatte sich zu Anfang auf Asphalt die Fußsohlenhaut noch regelrecht "abgelaufen" und dann musste ich in Schuhe steigen.
Das passiert mittlerweile nicht mehr aber bei Kälte-Nässe-Kombi habe ich nach etwa einem Kilometer das Gefühl, auf den blanken Fußknochen zu laufen, als ob kein Polster da wäre. Ich prüfe meine Füße auf an der Sohle hängende Steinchen, nix, aber es fühlt sich so an. Erst wenn ich noch ein wenig durchhalte, bis an den Punkt an dem es auch warm wird, gibt sich dieses echt fiese Gefühl.
Der Weg bis zu diesem Punkt verkürzt sich, was die Motivation erheblich beeinflusst.

zum ersten Mal Schnee unter den Füßen
Schnee
Vor ein Paar Tagen hat es geschneit. Barfuß durch Schnee zu laufen ist ein ganz besonderes, belebendes Gefühl, das schwer zu beschreiben ist. Auf jeden Fall löst es blanke Lebensfreude aus. Und bei fiesen Schotterstrecken, die der Schnee weich zugedeckt hat, kommt auch echte Freude auf.

Frost
Bisher war es sooo kalt noch nicht. Laufen der Hund und ich bei -2°C los, trage ich zu Beginn die Zehenschuhe bis die Füße aufgewärmt sind und ziehe sie dann aus.

Relation
Da es naturgemäß nun nach und nach kälter wird, ist jeder kältere Tag wieder was zum dran knabbern. Wird es aber zwischendrin mal milder, bemerke ich, dass mir etwa 5°C, die ich zuvor heftig fand, nun gar nix mehr ausmachen. In den letzten Wintern hatte ich zuhause oft auch in selbstgehäkelten Socken mal kalte Füße, das ist nun ohne Socken und Schuhe nicht mehr der Fall.
Füße warm.

Hände
Mit den warmen Füßen einher gehen warme Hände. Hatte ich bisher (ebenfalls durchs Rauchen beeinflusst) mindestens im Winter oft kalte Hände, beobachte ich nun, dass ich bei 0°C noch keine Handschuhe brauche, selbst wenn ich nur gehe und gar nicht mal renne und die Hände auch nicht in den Taschen habe. In vergangenen Wintern ein Unding, trotzdem ich ja gelegentlicher Turnschuhjogger war.

bei 7°C und Regen
Leute
Wir sind generell in einer recht menschenleeren Gegend unterwegs. Von anderen Barfußgängern habe ich gehört, dass man vor allem im Winter entweder seltsame Blicke erntet oder ungläubige Fragen gestellt bekommt (was mich beides wenig stören würde). Blicke haben wir bisher nur aus vorbeifahrenden Autos bekommen und manchmal von Radfahrern, die sich nochmal umdrehen. Schmunzeln muss ich über Sonntagsspaziergänger in gestepptem Wintermantel, Mütze, Winterstiefeln und dicken Handschuhen bei +8°C, denn da bin ich als vormals recht verfrorener Mensch nun entspannt mit Jogginghose, einem dünnen Wollpulli und einer Windjacke unterwegs.

Vorurteile
Sind mir bisher wenige begegnet. Eine Freundin warnte mich besorgt und zurecht, dass Barfußgehen in unserer hiesigen und heutigen Gesellschaft doch oft mit nicht-ganz-dicht-sein assoziiert ist. Damit hat sie -leider- recht, weshalb ich es überall da unterlasse, wo es unnötige Diskussionen provozieren würde.
Immer wieder lautet die erste Assoziation und Frage zu meinen blanken Füßen im Winter "Blasenentzündung?" was ich fröhlich verneinen kann. Aber auch ich hatte diese Verknüpfung vor ein paar Jahren noch fest im Hirn. Bestätigt hat sie sich im Selbstversuch in keiner Weise.

Bestärkung
Noch meine Großmutter ist als Kind samt ihrer Geschwister mindestens von Mai bis Oktober barfuß gelaufen, Schuhe gabs gar keine. Im Winter gabs ein Paar Schuhe für 8 Geschwister, sogenannte Igelit-Schuhe (schlicht Plastikschuhe), die quasi selbst gefroren. Klar, das war schon derb aber dass irgendwer krank gewesen sei, höre ich nicht. Bei ihrem Ausbildungsantritt ist sie mit ihren sprichwörtlichen Sieben Sachen ausgezogen, die sie an zwei Händen aufzählen kann. Ein paar Schuhe war nicht darunter. Die kamen erst vom ersten Gehalt. Sie erfreut sich bis heute rüstigster Gesundheit.

Von indigenen Völkern weltweit abgesehen, ging man auch in Schottland, Irland und selbst im fernen Australien bis weit ins 20. Jahrhundert in breiten Bevölkerungsschichten barfuß, ohne dass jemand Anstoß daran nahm und ohne zwanghafte Verknüpfung von Barfüßigkeit mit Armut.
Auch die verehrten antiken Griechen sind auf zeitgenössischen Darstellungen häufigst barfuß dargestellt, auch und gerade Athleten.
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Bis hierher: Füße und Hände warm wie nie, bin ich zuversichtlich, den Winter in unseren Breitengraden gut gelaunt größtenteils ohne Schuhe zu verbringen.